Über Covid 19: Die Anwesenheit von Thanatos

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Über Covid 19 wurde bereits vieles geschrieben und ich reihe mich heute mit diesem Artikel ein – wahrscheinlich mit einer etwas anderen Sichtweise.
Die heutige Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist geprägt durch Zerstreuung, Verdrängung und Ablenkung. Fast jeder Mensch sucht nach Aktivitäten und Aufgaben, die er oder sie täglich bewältigen muss. Wie in einem Hamsterrad drehte man bis vor kurzem unbeschwert und leicht seine Runden. Man brachte die Kinder von Insel zu Insel – Schule oder KITA, Verein, Musikschule, Schwimmunterricht oder, oder, oder. Man ging einer Beschäftigung nach – Arbeit, Universität, Flaschen sammeln oder betteln.
Und egal, was man auch tat, man war unterwegs und lebte so vor sich her. Ohne diese Ordnung verlieren viele den Halt und die Sicherheit, das sollten wir bald spüren.
Covid19 kam und die Welt hielt plötzlich an – hörte kurz auf sich zu drehen, wie es mir schien. Surreal und völlig utopisch muteten die politischen Konsequenzen erst an – Schul- und KITA-Schließungen, Kontaktverbot und alle Kultureinrichtungen geschlossen. Und was nun? In den ersten zwei Wochen ging es darum, das alles zu begreifen und zu fassen – irgendwie.
Man arrangierte sich mit der Situation und der eine oder andere fing bereits an nachzudenken, etwas Ungewöhnliches zu fühlen und sich etwas bewusst zu machen. Davon möchte ich nun ausführlicher erzählen, weil ich denke, dass es ein wichtiger Punkt ist, der mitgedacht werden muss, wenn wir uns über die Auswirkungen dieser Pandemie auf die menschliche Psyche Gedanken machen.
In unserem Leben geht es nicht nur seit Freud, sondern immer schon um Lust und Begehren. Wir wollen das Leben genießen und keine Epoche schaffte mehr Vergnügungs- und Gestaltungsräume als unsere heutige. Lebe, wer Du sein möchtest! Und man konnte alles sein und werden – zumindest theoretisch. Natürlich gab es finanzielle oder auch individuelle Grenzen, aber man „hätte es sein oder tun können“.
Wir hatten noch nie soviel zu tun und zu erleben, wie heute. Nun sehen wir langsam, wie abgelenkt wir doch waren und worauf unser Fokus lag: auf Spaß und Vergnügen. Das ist nicht als Vorwurf zu verstehen, sondern als Tatsache. Man konnte sich diesem nicht oder kaum entziehen, wenn man sich nicht gerade diesem gesellschaftlichen Leiden zugewandt hatte (aus professionellen oder persönlichen Gründen bzw. Abgründen). Gerade die eigene Sterblichkeit unseres Daseins war schon immer und ist ein Tabuthema.
Und gerade in einer Gesellschaft wie unserer passt ein Leiden oder Wimmern und ein Scheitern so gar nicht. Wer gestorben ist, ist irgendwie gescheitert. Sein Leben ist zu Ende. Niemand mag gerne über den Tod sprechen oder nachdenken.
Todestrieb bei Freud – Wer ist Thanatos?
Freud formulierte 1920 in „Jenseits des Lustprinzips“ die Vorstellung eines „Todestriebes“. Ich finde, gerade jetzt und heute werden diese Gedanken Freuds aktueller denn je. Oft wurde dieses Gedankengebäude belächelt, vielleicht auch aus der Urverdrängung heraus? Nach Jones nannte er diesen in Konversationen mit ihm auch gerne „Thanatos“. Wer sich mit Mythen ein wenig auskennt, wird sich wie ich eventuell auch irgendwann einmal gefragt haben, warum er zum Todestrieb Thanatos sagte? Er hätte auch über Hades sprechen können, schließlich ist dieser der Herr der Unterwelt und Toten.
Ich finde das allerdings sehr passend, denn Thanatos ist der Überbringer des Todes. Er schneidet den Sterbenden eine Haarlocke ab und übergibt sie Hades, um sie ins Totenreich zu überführen. Er fungiert sozusagen als Bote und Abholer, als letzter Begleiter aus unserem irdischen Leben hin zum Tod. Thanatos brachte das Sterben und Hades dann den Tod.
Mit Covid 19 haben wir einen unsichtbaren und unberechenbaren Feind vor uns. Er könnte jederzeit uns oder unsere Lieben töten. Es geht um Verlust und Angst vor diesem, aber auch um Loslassen und Akzeptanz. Ich sehe Thanatos unter uns wandeln. Ich meine damit, dass ein Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit und der aller Menschen in unseren Herzen und Köpfen erwächst. Plötzlich können wir uns nicht mehr ablenken von dieser Erkenntnis – der Todestrieb, als Bewusstwerdung der menschlichen Sterblichkeit, wir allgegenwärtig. Viele Entscheidungen können nun über Leben und Tod bestimmen.
Umgang mit der Todesangst (Thanatos) im Nacken
1. Die Ängstlichen und Vorsichtigen
Ich beobachte zurzeit drei Lager in meinem Umfeld. Die einen sehen ängstlich Thanatos aus der Ferne zu und verbarrikadieren sich, so gut es eben geht. Sie sperren ihn aus, sowie sie auch alle Menschen, Nachrichten und auch Gefühle ignorieren. Sie hocken in ihren Stuben und warten ab – irgendwann, wenn alles vorbei ist, können sie die Hände wieder von ihren Augen und Ohren nehmen.
Jetzt hat es jeder in der Hand und jeder sollte nun an sich denken, dann ist an alle gedacht. Die Vernunft gebietet einfach dieses Verhalten, alles andere wäre unvernünftig und asozial. Die Gefahr, die sich hier abzeichnet, ist dass ihr Leben in dieser Angst steckenbleibt oder sogar erstickt, wenn sie es nicht selbst tun.
Zudem könnten sie feststellen, dass sich die Welt um sie herum durch die Pandemie verändert hat. Geliebte Menschen z.B. haben sich von ihnen abgewendet, weil sie sich in den schweren Zeiten nur um ihr eigenes Wohlergehen gekümmert haben oder einige Bekannte sind verstorben und man hat keinen Abschied genommen.
2. Die Ignoranten und Verleugner
Eine andere Gruppierung um mich herum ignoriert Thanatos einfach und macht wie immer weiter. Diese Menschen verstehen nicht, warum so ein Zirkus um Covid 19 gemacht wird und sie treffen sich einfach weiter mit ihren Lieben und Bekannten. Zwar tolerieren sie, wenn jemand das anders macht als sie, aber innerlich belächeln sie diese armen Leute, die den ganzen Schwachsinn der Politiker und Virologen glauben.
Covid 19 ist nicht mal so gefährlich wie die Grippe. Am Ende, wenn Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung an Covid 19 sterben, können sie auch hier versuchen, sich einzureden, diese Leute haben das woanders her, aber sicher können sie sich nicht mehr sein. Schuld- und auch Schamgefühle sind die Folge und starke Verbindungen in Familien und/oder Freundeskreis werden aufgehoben und zerstört. Die Ungewissheit, ob man die Sterblichkeit verhindern hätte können, kann diese Menschen am Ende genauso umbringen, wie das Virus selbst oder sie zumindest zutiefst quälen.
3. Die Furchtlosen
Eine letzte Gruppe möchte ich kurz skizzieren. Diese Menschen stellen sich Thanatos direkt in den Weg und blicken ihm ins Gesicht. Es macht ihnen angeblich keine Angst, vielleicht sterben zu können. COVID-19 soll ruhig über sie kommen, sie können es ja eh nicht verhindern. Jeder wird davon mal befallen sein, also wozu warten.
Wenn man daran stirbt, dann ist es Schicksal und soll ebenso sein. Zudem tragen sie zu einer Herdenimmunität bei, die im Endeffekt allen Menschen zugutekommt. Wenn man so will, sind sie eigentlich Helden unserer Zeit – sie setzen ihr eigenes Leben für uns alle aufs Spiel. Wenn sie allerdings Pech haben, dann bezahlen sie diese Einstellung tatsächlich mit dem eigenen Tod. Sie riskieren, wenn vielleicht auch ungewollt (unbewusst), einen geliebten Menschen direkt oder über sieben Ecken getötet zu haben, denn die Verbindungen zwischen den einzelnen Leuten, ist auch für sie undurchsichtig.
Thanatos ist unter uns – in der Gestalt von Covid 19
Es bleibt festzuhalten: Thanatos ist unter uns! Er wandelt umher in der Gestalt des Virus Covid 19 und wir entscheiden, wie wir mit ihm umgehen wollen. Aber wie sollen wir diesem unheimlichen Wesen, diesem verdrängten Dämon begegnen? Ich denke, es sollte in diesen Tagen um das „Abwägen“ gehen. Der Mensch neigt in traumatischen Zeiten zu Extremen, wie wir an den drei oben beschriebenen Gruppen sehen können. Doch „Maß halten“, sich zurücknehmen und eigene, vernünftige Entscheidungen in diesen Tagen fällen, setzt eine geistige wie auch emotionale Auseinandersetzung mit COVID-19 voraus.
Welche Risiken kann man wie vermeiden und welche bin ich bereit bewusst (und nicht unwissend oder unbewusst) einzugehen? Es ist die „Bewusstmachung“ von meinem Handeln und Tun, die nun wichtiger, denn je ist. Nur so kann ich Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht immer schön für mich und/oder andere sind, aber „begründbar“ und „plausibel“. Vor allem vor mir selbst sollte ich erklären können, warum ich in diesen Tagen so oder so handle. Ansonsten laufe ich Gefahr, mich zu verlieren und damit verbunden auch andere bzw. anderes – vielleicht sogar mein Leben.
Emotional erscheint es m.E. besonders wichtig zu sein, der Traurigkeit und Hilflosigkeit Raum in mir zuzugestehen. Das Aushalten von Entsagungen und das Innehalten in vorhandenen Gefühlswelten machen die langen Tage der Kontaktsperre wahrscheinlich erträglicher. Auch hier ist das „Bewusstmachen“ der entscheidende Punkt – das Wahrnehmen und Erkennen der eigenen bunten, vielfältigen und phantasiereichen Innenwelt in mir selbst und der Welten, die durch einen Anderen entstanden ist und nur durch diese besondere Verbindung existiert. Diese Welten anzuerkennen und zu würdigen, kann in meinen Augen Linderung und Ruhe bringen.
Fazit
Thanatos (und damit Covid 19) wirkt in diesen Tagen immer und überall! Wenn sich die Menschen die Zeit nehmen, sich mit ihrer und der Sterblichkeit der Menschheit überhaupt zu beschäftigen, kann diese Krise auch eine Chance sein. Die Urverdrängung des unvermeidlichen menschlichen Endes in Form des körperlichen Todes läuft wie ein Stummfilm in unserem Leben mit.
Sich dessen bewusst zu machen und Thanatos demütig und wachsam zu beobachten, kann helfen sich im freien Fall der Pandemie zu finden und irgendwo zu landen. Wo das sein wird, ist vielleicht nicht klar, doch diese Unsicherheit gilt es auszuhalten, denn ein harter Aufprall wäre durchaus schmerzlicher, wenn nicht tödlich.
Wo niemals Dunkelheit herrscht, kann auch kein Licht einfallen. Und so müssen wir erkennen, dass auch wir nur kleine Lichter sind, die flackernd ihre Schattenbilder im Wind des Lebens entwerfen – nicht nur zu Pandemiezeiten. Die „Bewusstmachungen“ in geistiger und emotionaler Hinsicht spielt sicher gerade an diesen Tagen eine tragende Rolle, aber nicht nur. Ich denke, wenn wir es schaffen, diese mit in die Zeit nach COVID-19 zu nehmen, können wir alle wachsen – in Sachen Menschlichkeit und Welteinsicht etc.!
Der Text wurde während meiner Studienzeit an der IPU Berlin zusammen mit anderen Texten bzgl. psychodynamischer Sichtweisen über Covid 19 verfasst. Mehr psychodynamische spannende Themen im Podcast hören – die IPU macht´s möglich!
Gleich weiterlesen und weitere spannende Posts entdecken. Zum Beispiel wie Freud sein Gedankenmodell entwickelt hat.
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