Traumabegriff: die längst notwendige Erweiterung von David Becker (2014)

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Der Traumabegriff bedurfte schon längerer Zeit einer Neudefinition. David Becker ist ein Vertreter, der sich gegen die „einfache Diagnose“ einer PTSD stellt und aufbauend auf seiner Kritik dazu zusammen mit der sequentiellen Traumatisierung von Hans Keilson den individuellen Trauma-Begriff um die soziale bzw. gesellschaftliche Dimension erweitert hat (Becker; 2006, S. 166).
Er sieht in der pathologischen Diagnostik der oben beschriebenen PTSD hauptsächlich die Gefahr der Stigmatisierung. Auch wenn er zugesteht, dass zumindest das Leid von Traumatisierten eine Anerkennung erfahren konnte, durch diesen Versuch einer Beschreibung ihrer typischen Symptome und ihr Krankheitsbild.
Becker kritisiert an der PTSD, dass sie eine einzelne traumatisierende Situation als Stressor herausstellt und somit die sozialpolitischen Aspekte außen vorlässt. Das bedeutet für ihn, dass ein soziales, politisches Problem in ein psychopathologisches formatiert wird. Er möchte Traumatisierungen als Prozess begriffen wissen (Becker; 2006; S. 173). Denn auch transgenerationale Prozesse innerhalb von Familien werden vom PTSD ignoriert.
Interdisziplinäre Betrachtung von Traumata für eine Neudefinition des Traumabegriffs
Weiterhin postuliert Becker, dass Traumata interdisziplinär gesehen werden sollte und nicht in ein „einzelwissenschaftliches Korsett“ gezwängt wird (Becker; 2006; S. 167). Es geht nach Becker nicht darum, Definitionen von Trauma zu finden und immer wieder auszuformulieren, sondern darum Menschen in ihrem Leid zu helfen – und zwar individuell in ihren bestimmten Kontexten und mit ihren besonderen Geschichten.
Vom Begriff des Empowerments aus zeichnet er die psychosozialen Inhalte des Disempowerments nach und setzt die individuellen Prozesse mit den sozialen in Bezug. Dabei stellt Becker heraus, dass ein ständiger Zustand der Bedrohung bei Menschen zu chronischen Ängsten führt. Alltägliches Leben mit Zerstörungen um einen herum implizieren Traumata. Der in dieser bedrohten und zerstörerischen Umwelt unvermeidlich einhergehende Verlust provoziert dann eine tiefe Trauer in den betroffenen Menschen. Becker hat hierbei vor allem Kriegs- und Krisengebiete vor seinen Augen (Becker; 2006; S. 171).
Sequenzielle Traumatisierung
Ausgehend von seiner Kritik an der PTSD greift Becker das Modell der sequentiellen Traumatisierung von Keilson auf und formuliert daraus sechs allgemein gehaltene Sequenzen, die man auf Einzelkontexte präzisieren kann (Becker; 2006; S.179/180):
- Vor Beginn des traumatischen Prozesses
- Beginn der Verfolgung
- Akute Verfolgung – Der direkte Terror
- Akute Verfolgung – Chronifizierung
- Zeit des Übergangs
- Nach der Verfolgung
Becker gibt auch an, dass seine Traumakonzeption den psychoanalytischen Rahmen sprengt. Dennoch plädiert er wie Keilson, den Traumabegriff nicht zu eng zu sehen und auch den sozialen, politischen und gesellschaftlichen Rahmen in die Traumaarbeit mit einfließen zu lassen.
Trauma als ganzheitliches Konstrukt – die Erweiterung des Traumabegriffs
Das Besondere daran ist, dass sich bei genauerer Betrachtung des Modells schnell herauskristallisiert, dass für die Verarbeitung von Traumatisierungen eben auch die Vorgeschichte und die komplette Geschichte während und nach einer schrecklichen und grausamen Zeit voller Leid wichtig sind. Becker spricht hier den Respekt, das Verständnis und die Beziehung als essentielle Faktoren in der erfolgreichen Bewältigung traumatischer Lebensabschnitte an.
In allen sechs Sequenzen kann das individuelle Leid verstärkt, aber auch gemindert werden. Je nachdem, was genau passiert und vor allem, wie wir Menschen Traumatisierten auf ihrem Weg begegnen und ihnen Unterstützung zuteil werden lassen oder eben nicht. Das ist eine Grundhaltung, die sich hier herausbildet und die Becker beschreibt. Egal, in welcher Phase wir Menschen im Leid antreffen, wenn wir ihnen Respekt, Liebe und Verständnis entgegenbringen, kann das schon den entscheidenden Unterschied in Hinblick auf ihren Kampf um ein normales Leben machen (Becker; 2006; S.189 ff).
In meinem Betrag: Was ist TRAUMA? beschreibe ich die aktuell vorherrschende Definition von Trauma, auf deren Grundlage auch die psychologische Diagnostik erfolgt.
Literaturtipp (Werbung)
Ein Buch, was mit vielen Fallgeschichten deutlich macht, was Traumata alles beinhaltet und wie facettenreich sich ein Trauma auffächern kann. Es ist sehr verständlich geschrieben und liest sich beinahe wie ein spannender Krimi. Für alle die, die Trauma auch emotional besser verstehen möchten ein absolut empfehlenswertes Buch.
Becker, David (2014); Die Erfindung des Traumas: Verflochtene Geschichten; PsychoSozial Verlag
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