Somatische Marker (Damasio) – Trend 2022: Neuropsychoanalyse

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Somatische Marker als Begriffskonstrukt basiert auf den NeurowissenschaftlerAntonio R. Damasio. Er beobachtet bei seinen Patienten, die hauptsächlich präfrontale Schädigungen aufweisen, dass sie große Probleme darin zeigen, Entscheidungen zu treffen. Da wir in unserem Alltag allerdings sehr darauf angewiesen sind uns ständig neu zu orientieren und zu entscheiden, sind diese Patienten zunehmend in ihrem sozialen Leben eingeschränkt. Ihre Handlungsfähigkeit ist dadurch in allen Bereichen stark beeinträchtigt. Damasio definiert den Zweck des Denkens so:

„Man darf wohl sagen, dass der Zweck des Denkens eine Entscheidung ist und dass das Wesen der Entscheidung darin liegt, eine Reaktionsmöglichkeit auszuwählen, das heißt in Verbindung mit einer gegebenen Situation unter den vielen Möglichkeiten, die sich in diesem Augenblick anbieten, eine nonverbale Handlung, ein Wort, einen Satz oder eine Kombination aus diesen Elementen zu bestimmen. Denken und Entscheiden sind so miteinander verwoben, dass sie häufig synonym verwendet werden .“(ebd., S. 199)

In seinem Buch „Descartes´ Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn“* (1994/2014) skizziert er seinen Forschungsweg nach und untermauert seine Hypothesen mit aktuellen Studien aus der Tierwelt und verschiedenen interdisziplinären Forschungsarbeiten. Im Zentrum steht die „Beziehung zwischen Gefühl und Denken“ (ebd., S. 11). Als Verbindungsbrücke beschreibt Damasios die somatischen Marker, die uns Menschen Lust- und Unlustempfindungen fühlen lassen und damit eine Hilfe bzw. Unterstützung in der Entscheidungsfindung sind. Ausgehend von angenehmen oder unangenehmen Körperempfindungen entwickeln sich nach Damasio Vorstellungsbilder in unserem Gehirn, die wiederum in somatische Signale übersetzt werden und uns sowohl warnen als auch zu Handlungen motivieren können:

„Wenn das unerwünschte Ergebnis, das mit einer gegebenen Reaktionsmöglichkeit verknüpft ist, in Ihrer Vorstellung auftaucht, haben Sie, und wenn auch nur ganz kurz, eine unangenehme Empfindung im Bauch. Da die Empfindung den Körper betrifft, habe ich dem Phänomen den Terminus somatischer Zustand gegeben (soma ist das griechische Wort für Körper); und da sie ein Vorstellungsbild kennzeichnet oder „markiert“, bezeichne ich sie als Marker.“ (ebd., S. 207)

Primäre und sekundäre Gefühle

Die somatischen Marker sind laut Damasio ein Sonderfall der Empfindungen und betreffen die sekundären Gefühle. Primäre Gefühle sind für ihn „angeborene, präorganisierte Jamessche Gefühle“ (ebd., S. 162). Sekundäre Gefühle bauen auf diesen auf und auch die eingebundenen Hirnareale sind identisch. Beide Gefühlsarten laufen über die Amygdala, jedoch werden bei den sekundären Gefühlen „Gedankenprozesse analysiert und unter Umständen von frontalen Cortices (VM) aktiviert. Sekundäre Gefühle bedienen sich, anders gesagt, des Apparats der primären Gefühle.“ (ebd., S. 167).

Ein wichtiger Aspekt bei den somatischen Markern ist der Lernprozess, bei dem sie entstehen. Sie entwickeln sich aus den Sozialisierungserfahrungen innerhalb einer Kultur, sowie aus den individuell gemachten Lebenserfahrungen eines Menschen heraus. Die Verknüpfung positiver bzw. negativer Vorstellungen sind von Mensch zu Mensch verschieden und auch veränderbar.

Positive Marker sind besonders wichtig, um vorgeschaltete negative Zustände aushalten zu können, die notwendig für potenzielle Verbesserungen sind. So kann z.B. ein/e Student*in es ertragen, bei herrlichem Sommerwetter ein Online-Seminar besuchen zu müssen, obwohl sie viel lieber einen Strandtag machen würde, weil sie weiß, dass dieses Seminar wichtig ist, um ihren Abschluss zu erreichen, der sie beruflich weiterbringen wird.

Das entscheidende neuronale Netzwerk für die somatischen Marker sind die präfrontalen Rindenfelder, die für die Entstehung der sekundären Gefühle verantwortlich sind. Die verschiedenen Felder des Stirnhirns werden dort wechselseitig vernetzt. Für Damasio ist der präfrontale Cortex besonders für diese Aufgabe geeignet, da er „Signale aus allen sensorischen Regionen empfängt“, welche wiederum für die Erzeugung von Vorstellungsbildern notwendig sind. Zudem laufen hier Informationen aus „bioregulatorischen Abschnitten des menschlichen Gehirns“ zusammen:

„Dazu gehören die Neurotransmitter-Kerne im Gehirnstamm (beispielsweise diejenigen, die Dopamin, Noradrenalin und Serotonin ausschütten) und im basalen Vorderhirn (die Kerne, die Acetylcholin abgeben), außerdem die Amygdala, der Vorderteil des Gyrus cinguli und der Hypothalamus. Man könnte sagen, der präfrontale Cortex erhält Nachrichten von allen Mitarbeitern der Eichbehörde .“(ebd., S. 215)

Verdeckte und manifeste Marker

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Damasio unterscheidet die somatischen Marker noch in verdeckte und manifeste Marker. Je nachdem, welche neuronale Route benutzt wird, werden sie wirksam. Eine Route geht über das Bewusstsein, die andere an diesem vorbei (ebd., S. 2019 ff). Entscheidend ist die Aufmerksamkeit, welche dem Marker entgegengebracht wird.

Wird eine somatischer Marker bewusst wahrgenommen, spricht Damasio von einer Empfindung. Wird er jedoch in einem „Als-ob-Modus“ aktiviert, kann von Intention gesprochen werden. Ziel der Marker ist es immer, den Menschen bei seinen Entscheidungen, also im Denken zu unterstützen und ein Gleichwicht zu schaffen, indem Energie eingespart werden kann. Wenn wir immer alle unsere Entscheidungen durchdenken und logisch mit Argumenten begründen müssten, wäre das Leben sehr schwerfällig und eigentlich nicht zu bewältigen.

Die somatischen Marker sind laut Autor notwendig für unsere Entscheidungsfindung und somit für unser Denken. Sie sind jedoch keinesfalls hinreichend, um eine Neurobiologie der Rationalität zu entwerfen (ebd., S. 232).

 Kritik 

Der Versuch Denk- und auch Gefühlsprozesse in unserem Gehirn zu verorten ist auch bei Damasio zu finden. Der Reiz darin besteht sicher in der Annahme, dass man so bestimmte Hirnschädigungen besser verstehen und vielleicht sogar chirurgisch behandeln kann. Es ist unter anderem Damasio´s Verdienst, dass Gefühle und ihre Bedeutung für uns Menschen und unser Denken wieder in den Fokus rücken. Lange Zeit galten sie wie bereits oben geschildert als Verwischer der Realität und sogar als schädlich bzw. gefährlich für das rationale Denken.

Solms kritisiert Damasio in seinem Book Review zum oben behandelten Buch von Damasio ebenfalls aus psychoanalytischer Sicht:

„From a psychoanalytic viewpoint, this is the weakest aspect of Damasio´s book. Damasio conceptualizes only conscious (and preconscious) processes in mental terms; he describes the underlying, nonconscious processes (which precede and, as it were, generate conscious mental contents) in purely physical terms. In other words, for Damasio, consciousness is mental, but the unconscious is physical; the mind is a “product” of the brain (p.255) and “neural representations… become images in our minds” (p.90; emphasis added).“ (Solms, 1997, S. 962)

Solms greift die Auffassung von Damasio zu kurz. Das dynamisch Unbewusste kann nach ihm nicht nur biologisch begriffen und im Kopf verortet werden. Der Cortex kann nichts wahrnehmen, sondern nur auf eine spezielle körperliche Art und Weise reagieren und etwas auslösen. Allerdings stellt diese Reaktion und auch die nachfolgend mitgedachten Reaktionsketten nicht genügend dar, wie eine Vorstellung, eine Fantasie oder auch ein Traum entsteht. Meines Erachtens versucht Damasio den Begriff des Unbewussten extra auszusparen, um vielleicht wissenschaftlicher zu wirken.

Liest man sein Buch aufmerksam, so kann man durchaus Ansätze erkennen, die ein dynamisches Unbewusstes zulassen würde. Da sich Damasio mit seinen Hypothesen sehr an Freuds Theorie anlehnt und diese neurowissenschaftlich untermauert, denke ich, wollte er nicht genau dran scheitern, woran Freud zu seiner Zeit schon scheiterte: dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit durch ausbleibende sichtbare Ergebnisse. Das jedoch bleibt nur eine Vermutung von mir.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Damasio mit seiner Arbeit über Somatsiche Marker einen großen Beitrag zur Anerkennung der Psychoanalyse und im Speziellen des Freud’schen Gedankenguts geleistet hat. Er hat es geschafft, die Gefühle und ihre Bedeutung für uns Menschen wieder ins Forscherlicht zu ziehen und eine neue Betrachtungsweise über das Denken und Fühlen zuzulassen. Der Descartes´sche Dualismus wurde erneut erfolgreich hinterfragt, widerlegt. Zum Denken gehört das Fühlen dazu, beide ergänzen sich gegenseitig. Damasios´ Hypothese über die somatischen Marker klingt plausibel und es kann angenommen werden, dass seine Erkenntnisse über die Hirnschädigungen im Frontalcortex stimmen.

Die Annahme solcher Marker würde bedeuten, dass man sie in der Therapie nutzen könnte. Es wäre vorstellbar, dass vor allem in der Psychosomatik damit gut zu arbeiten wäre. So könnten ungünstig gelernte somatische Marker überarbeitet werden – sowohl kognitiv wie auch emotional. Das emotional Erlebbare mit in die Therapie zu bringen, erscheint mir dadurch noch wichtiger und notwendig, um therapeutisch erfolgreich zu arbeiten. Die emotionale Besetzung von Situationen, Orten, Personen und anderem kann meines Erachtens als essenziell für den Menschen angesehen werden, um ein glückliches und ausgewogenes Leben führen zu können.

HIER weiter lesen: Wie kam Freud zu seinen Gedankenmodellen?

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