Top 1. Thema Anerkennung: Versuch einer Anerkennungsmoral von Axel Honneth

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Anerkennung ist heutzutage in aller Munde. Der berühmte Soziologe und Philosoph Axel Honneth wagt eine Annäherung an dieses komplexe Thema.

Zitat: „Unter Einbeziehung von Meads Sozialpsychologie läßt sich daher die Idee, die der junge Hegel in seinen Jenaer Schriften mit genialer Primitivität umrissen hat, zum Leitfaden einer normative gehaltvollen Gesellschaftstheorie machen; deren Absicht ist es, Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezugnahme auf die normativen Ansprüche zu erklären, die in der Beziehung der wechselseitigen Anerkennung strukturell angelegt sind.“ (Honneth; 2016; S. 148).

Ausgehend von den Jenaer Schriften Hegels, in denen sich der junge Denker mit dem „Kampf um Anerkennung“ der Menschen beschäftigte, versucht Axel Honneth dieses Gedankengut auf die Moderne zu übertragen und zu erweitern. Dabei möchte er Hegels Gedanken einbetten in heutige empirische Ergebnisse und zweitens aus den resultierenden Anerkennungstypen die gegenteiligen Formen von Missachtung ausformulieren. Dafür geht er auf eine Reise quer durch die Politische Philosophie und Moralphilosophie der letzten beiden Jahrhunderte.

Hauptsächlich bezieht er sich auf den jungen Hegel, aber auch auf Herbart Meads Sozialpsychologie, um am Ende eine sozialphilosophische Moral der Anerkennung zu formulieren. Er befasst sich mit drei wesentlichen menschlichen Anerkennungsansprüchen, um die jeder Mensch ständig kämpft: die Anerkennung durch Liebe, durch Solidarität und durch Recht.

Anerkennung durch Liebe

Schon in den psychoanalytischen Objektbeziehungstheorien ist die Wichtigkeit der wechselseitigen Anerkennung durch Liebe sichtbar. Honneth bezieht sich hierbei in seinen Ausführungen besonders auf Winnicott,, der die Phase einer undifferenzierten Intersubjektivität (Symbiose) als Anfangszustand jedes menschlichen Lebens annahm. Ausgehend von der frühen Mutter-Kind-Beziehung, die ein symbiotisches Einssein darstellt, wird es sowohl für das Kind wie auch für die Mutter irgendwann zwingend notwendig, sich vom Anderen zu lösen.

Sie müssen sich beide als eigenständige Wesen begreifen und die jeweiligen Grenzen des Anderen lernen anzuerkennen. Dies geschieht bei Winnicott in der Phase der abgestuften „Ent-Anpassung“. Die Mutter ist in dieser Phase aggressiven Ausbüchen des Kindes ausgesetzt, das so um die uneingeschränkte Liebe und Anerkennung der Mutter kämpft. Wenn sie diese Angriffe überlebt und weiterhin liebevoll mit dem Kind umgeht, lernt dieses seine Mutter als ein Wesen mit eigenen Rechten anzuerkennen (Honneth; 2016; S. 162). Zudem kann das Kind das Alleinsein für sich nutzen, indem es in einem geschützten intersubjektiven Raum kreativ und selbstverloren spielen und seine Umwelt entdecken kann, ohne ständig Angst zu haben, die Liebe der Mutter bzw. der Bezugsperson zu verlieren.

Übertragen auf die Bindungen im Erwachsenenalter bemerkt Winnicott, dass eben dieses Alleinseinkönnen, der Stoff ist, „aus dem Freundschaft gemacht ist“ (Honneth; 2016; S. 169). Denn Liebe entsteht durch eine gebrochene Symbiose, die wechselseitig durch Individuen initiiert wird. Deshalb kann man auch das Funktionieren bzw. Nicht-Funktionieren von zwischenmenschlichen Beziehungen auf eben diese Abgrenzungen im Kindesalter interpretieren.

Der Wunsch, wieder mit einer Person zu verschmelzen, scheint in den Subjekten stets im Hintergrund zu existieren. So sieht Jessica Benjamin z.B. Liebesbeziehungen als einen Prozess wechselseitiger Anerkennung an, was sie mit psychoanalytischen Mitteln versucht zu belegen[1] (Honneth; 2016; S. 157/158).

Auch die klinischen Begriffe „Masochismus“ und „Sadismus“ können im Zusammenhang einer misslungenen Anerkennung der persönlichen Integrität im frühen Kindesalter untersucht werden. Benjamin sieht als Ursache solcher psychischen Störungen, Verzerrungen in der Anerkennungsbalance als Folge einer vorausgehenden Fehlentwicklung im Ablöseprozesses von Mutter und Kind.  Dabei bezieht sie sich auch auf Otto Kernberg, der ebenfalls in diese Richtung dachte (Benjamin; 2009; S. 53 ff).

Das Konzept der „Selbstachtung“ bzw. des „Selbstvertrauens“ findet innerhalb des Anerkennungsanspruchs durch Liebe eine sehr essentielle Basis. Denn dadurch, dass mein Selbst (bei Mead mein „Me“) von einem anderen geliebt werden kann und ich so angenommen werde, wie ich bin, steigt nicht nur mein Vertrauen in andere, sondern auch in mich selbst. Ich kann mich dadurch als ein liebenswertes und geachtetes Wesen begreifen und somit auch meine eigenen Bedürfnisse und Empfindungen artikulieren und ausdrücken. Es entsteht „jene Grundschicht einer emotionalen Sicherheit“ (Honneth; 2016; S. 172). Aber auch die Fähigkeit, sich in einen anderen hineinzuversetzen, wird dadurch entwickelt. Eben dieses ist grundlegend für ein gesundes, gegenseitiges Rechtsverständnis unter uns Menschen.

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Anerkennung durch Recht

Erst wenn wir unsere normativen Pflichten gegenüber anderen begreifen lernen, können wir auch uns als eine Rechtsperson verstehen, die sich auf gewisse Grundregeln im gesellschaftlichen Miteinander verlassen kann. Schon Hegel und Mead beschrieben diese wechselseitige Anerkennung unter uns Menschen in modernen Gesellschaften (Honneth; 2016; S. 174).

Durch dieses Wechselspiel entstehen für jeden Rechte, aber auch Pflichten und somit ein sicheres Leben für den Einzelnen. Schon Hobbes beschrieb 1688 in seinem Leviathan, wie Menschen im Naturzustand ohne Rechte und Staat oder Kirche zusammenleben würden. Er stellt einen chaotischen Kampf dar, indem jeder gegen jeden aufbegehrt und seine egoistischen Triebe und Ansichten versucht durchzusetzen. Um eben diesem Zustand zu entkommen, bedarf es einer gesellschaftlichen Ordnung, die Schutz und Halt gewährt[2]. Mead ist eben dieser von Hobbes beschriebenen sozialen Rolle verhaftet, während es bei Hegel schon um eine Art Anerkennung geht.

Das Gesetz soll nun alle Menschen umfassen und auch für alle gleich gelten ohne Ausnahmen oder Privilegien (Honneth; 2016; S. 177). Der Mensch wird hier als ein freies Wesen angesehen, das aus Achtung und Respekt vor dem Menschsein bestimmte Rechte hat und nicht (nur) aus sozialen Gründen der Sicherheit und Ordnung.

Honneth geht nun weiter auf den Begriff der Achtung ein, vor allem auf Rudolph von Ihering, der sich im Besonderen mit der Frage beschäftigt hat, was man an einem Menschen alles achten kann und zu einer klaren Abgrenzung verschiedener Formen von Achtung beigetragen hat. Er kommt zu dem Fazit: „Daß wir Menschen als Person anerkennen können, ohne ihn in seinen Leistungen oder seinem Charakter wertschätzen zu müssen, bildet das theoretische Argument, das zwischen der Studie Iherings und der gegenwärtigen Diskussion eine Brücke schlägt.“ (Honneth; 2016; S. 181).

Es wird hierbei also zwischen zwei Formen der Anerkennung unterschieden. Zum einen in der Form eines universalisierten Respekts vor einer Person als Mensch und zum anderen die moralische Anerkennung, die auch die Situation in ihrem Urteil einschließt. Honneth weist darauf hin, dass ein Mensch zu einer moralisch zurechnungsfähigen Personengruppe gehören muss, um meine Anerkennung beanspruchen zu können. Gerade hier sieht Honneth in unseren modernen Gesellschaften einen ständigen „Kampf um Anerkennung“ zwischen den Menschen.

Denn für diese moralische Bewertung müssen die individuellen Fähigkeiten eines Menschen mit einem sozialen bzw. gesellschaftlichen Rahmen verknüpft werden (Honneth; 2016; S. 183/184).

Die Chance seine individuellen Rechte als Gesellschaftsmitglied leben zu dürfen und zu können, ist für uns Menschen essentiell für die Herausbildung von Selbstachtung. Durch den öffentlichen Charakter von Recht fühlt man sich in seiner Gesellschaft anerkannt.

Anerkennung durch Solidarität

Während es bei der Anerkennung durch Recht um die kognitive Achtung geht, dreht es sich bei der Anerkennung durch Solidarität um die soziale Achtung. Diese dritte Komponente einer Anerkennungsmoral skizzierten bereits Hegel mit seinem Begriff der „Sittlichkeit“, sowie Mead mit seinem „Modell der kooperativen Arbeitsteilung“. Schon hier spielt der Gedanke an einen intersubjektiv geteilten Wertemaßstab eine bedeutsame Rolle (Honneth; 2016; S. 196).

Menschen schätzen andere aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale und ihrer Verschiedenheit sozial wert. Je nachdem wieviel Anteil jemand daran hat, die gemeinsamen Werte und Ideale zu vertreten, umso mehr soziale Wertschätzung wird ihm innerhalb seiner Gesellschaft zuteil. In einer Ständegesellschaft erstreckte sich diese Form von Achtung in erster Linie auf die Mitglieder eines Standes und zwischen den einzelnen Ständen herrschte eine Art Konkurrenz, um ein höheres Sozialprestige in der Gesamtgesellschaft zu erlangen (Honneth; 2016, S. 201).

In der Moderne rückte dann immer mehr der individuelle Mensch als eine lebensgeschichtliche Größe in den Mittelpunkt der Betrachtung. Gerade seine Unterscheidbarkeit von anderen kann ihm die Fähigkeit zur „Selbstschätzung und Selbstwirksamkeit“ verleihen. Denn nun werden seine persönlichen, einzigartigen Fähigkeiten, Eigenschaften und Leistungen sozial wertgeschätzt und anerkannt. Dadurch besteht erst die Möglichkeit eines jeden sich selbst zu verwirklichen.

Honneth nennt diese wechselseitige Anerkennung: „symmetrische Wertschätzung zwischen individualisierten (und autonomen) Subjekten…“ (Honneth; 2016; S. 209). Mit dem Begriff der Symmetrie möchte Honneth zum Ausdruck bringen, „..daß jedes Subjekt ohne kollektive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren.“ (Honneth; 2016; S. 210).

Literaturtipps (Werbung)

Honneth, Axel (2010); Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, suhrkamp taschenbuch wissenschaft

[1] Ich möchte an dieser Stelle auf das Buch „Anerkennung, Zeugenschaft und Moral“ von Jessica Benjamin, das im Dezember 2018 erschien, hinweisen. Dort erweitert Sie Ihren Ansatz der „sozialen Anerkennung“ auf kollektive Traumata.

[2] In dem Buch von Wolfgang Sofsky „Traktat über die Gewalt“ finde ich es sehr interessant beschrieben, wie man eben diese „Erleichterung“ zwischen den Menschen auch umkehren kann. Sein fiktives Schauspiel führt einem auch die Determiniertheit moderner Gesellschaften vor Augen und ihre Gefahren. Sind sie wirklich schlimmer, als die „damaligen“? Eine philosophische Frage!

HIER weiter lesen: 5 bekannte Trauma-Störungen

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