ADHS als Erscheinnung in deiner Aufmerksamkeitsdefizit-Kultur – Teil 2

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ADHS als kulturelle Erscheinung hat bereits R. Reiche beschrieben. Aber Christop Türcke spurt in seinem Aufsatz „Konzentrierte Zerstreuung: Zur mikroelektronischen Aufmerksamkeitsdefizit-Kultur“ (2011)* den Wiederholungszwang von uns Menschen und die Auswirkungen des technischen Fortschreitens der Menschheit, der sich aus diesem ergibt, nach und aktualisiert Reiches Ansatz sozusagen auf unsere heutige Gesellschaft. Ausgehend von der Entwicklung von Ritualen und Sitten aus der Steinzeit bis heute, zeichnet Türcke nach, wie wir Menschen uns kulturell „Ordnung“ und „Struktur“ schaffen (müssen).

Der Wiederholungszwang als Ausgangsbasis

Am Beispiel des Opferrituals verdeutlicht er die psychische Notwendigkeit des Wiederholungszwangs, um Gefühlen wie Schuld und Angst Herr zu werden. Wir Menschen brauchen nach Türcke´s Ansicht die „Kontrolle“ über die Dinge der Außenwelt, um unsere Innenwelt zu beruhigen:

„Man macht sich durchaus keiner monokausalen Herleitung schuldig, wenn man sagt: Alle Rituale, Sitten, Grammatiken, Gesetzte, Institutionen, zu denen menschliche Kultur geführt hat, sind Niederschläge des traumatischen Wiederholungszwangs. Denn seine Niederschläge sind ebenso Resultate seines Wirkens wie seines tendenziellen Aufhörens. Er hat sich in ihnen beruhigt.“ (ebd. S. 15)

Es ist also eine Art Überlegenheit, die uns diese Kontrolle gibt. Dem Autor zufolge geht aber eben diese uns modernen, technologisch hochentwickelten Menschen immer mehr verloren. Man kann sagen, dass Computer und Maschinen uns mittlerweile überlegen sind und wir uns dadurch unbewusst und/oder bewusst minderwertig empfinden (ebd.; S. 17). Nicht nur das, sondern wir haben uns laut Türcke an einen ständigen „Schock“ gewöhnt, indem wir immerzu Bildschirmen und ihren Wechseln von Schauplätzen und Einstellungen ausgesetzt sind. Wir bekommen somit am laufenden Band einen winzigen Adrenalinstoß nach dem anderen und können uns dem nicht entziehen, da unsere Sinne auf bewegte Bilder anspringen müssen.

Der moderne Mensch von heute befindet sich demnach in einer Dauererregung und Medien versuchen mittlerweile den Drang nach Abwechslung, der schon selbstverständlich geworden ist, zu bedienen. Zeitungen wurden über die Jahre immer bunter und geschriebene Artikel immer kürzer. Türcke sieht darin „manifeste Aufmerksamkeitsdefizitsymptome“ (ebd.; S. 19). ADHS-Kinder spiegeln dem Autor zufolge genau das wider, indem sie vor einem Computer sitzend konzentriert und ausdauernd arbeiten können, was sonst kaum oder gar nicht geht.

Ist ADHS überhaupt eine Krankheit?

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Der Verfasser merkt an, dass es „verwirrend“ für ihn ist, wenn Kinder mit ADHS- Symptomen durch hirnanatomische, psychotische, traumbezogene Störungen mit anderen ADHS-diagnostizierten Kindern gleichgesetzt werden. Er stellt in Frage, ob ADHS immer eine „Krankheit“ darstellt und sieht eine eindeutige Verbindung zur Fixierung an Bildschirme. Auch das Elternverhalten hat sich laut Türcke durch die Technologien verändert, er sieht darin einen weiteren Einflussfaktor für Aufmerksamkeitsdefizite bei Kindern. Denn, wenn es zu einem frühkindlichen Aufmerksamkeitsentzug kommt, könnte das nach Türcke durchaus zur Ausbildung von ADHS – Symptomen führen:

„(…) Mütter, die beim Stillen telefonieren, oder Eltern, die beim Spielen ständig mails checken (…)“ (ebd.; S. 21)

Der Autor sieht bei ADHS-Kindern auch „Schwierigkeiten in der Repräsentation“, die wiederum für Denkleistungen wichtig sind. Wenn die Gestaltbildung und das Ordnen und Zusammenfügen von Informationen im Gehirn nicht mehr oder nur wenig funktioniert, können kaum noch Denkfiguren entstehen und sich verinnerlichen:

„Ihre Vorstellungen sind kaum mehr als Wurmfortsätze dessen, was sie gerade erleben und wünschen, indem sie sich diesem Hier-Jetzt überlassen und darin um so besser versinken können, je unruhiger es flimmert und zucke, nähern sie sich einer neuen Art des Tagträumens an – nicht jedem beschaulichen, in das ein gedankenverlorenes Sinnieren übergeht, wenn seine Vorstellungen zu Bildern absinken und Momente halluzinatorische Plastizität gewinnen, sondern einem hektischen, wo Traum- und Wachzustand so ineinanderrutschen, daß die Betroffenen weder mehr intensiv träumen noch zur Strukturiertheit wachen Verhaltens gelangen.“ (ebd.; S. 25/26)

ADHS als Warnung für unsere Gesellschaft

Für Türcke ist das immer mehr auftretende Phänomen von ADHS eher eine Warnung oder Ankündigung, der wir uns annehmen müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Was genau dabei auf uns zukommt, weiß niemand und bleibt dem Verfasser zufolge, abzuwarten. Aber eins kann man wohl laut Türcke befürchten: Dass die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Vorstellung sich als eine der größten menschlichen Errungenschaften zurückbilden wird.

HIER LESEN: Teil 1 ADHS als kulturelle Erscheinung einer Leistungsgesellschaft

 

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